oder
Unanständiges im Angesicht Palästinas
(The Road Map of Marquis de Sade)
(eine Rede
gehalten in Paris am 18. Juni 2003)
Der Fahrplan ist kein Kompromiss zwischen
Palästina und Juden, sondern zwischen Juden und Juden; keine
dieser beiden Gruppen lebt im Mittleren Osten, denn es handelt
sich um die Juden aus New York und die neokonservativen Juden
aus Washington. Beide Gruppen sind der Bewahrung und dem
Wohlergehen des jüdischen Staates gewidmet, doch sie haben eine
unterschiedliche Strategie: während Neokonservative wie Perle am
liebsten ihre Feinde à la Joshua bin Nun auslöschen und
verschwinden lassen möchten, sind Tom Friedman und andere
Liberale der Meinung, man könnte die Goyim sicher im
Gazastreifen einsperren und von NATO Soldaten bewachen lassen.
Nun haben diese zwei Gruppen einen Kompromiss geschlossen. Die
aktive Phase der Eroberung des Irak durch die Amerikaner ist
vorbei, doch die amerikanische Armee muss im Irak und in
Afghanistan bluten. Bevor die amerikanischen Soldaten in den
eroberten Gebieten von Franzosen, Indern und anderen
Wehrpflichtigen abgelöst werden, um sie für die nächste Phase,
den Angriff auf den Iran, einzusetzen, müssen sie der Welt
beweisen, dass der Krieg nicht bloss eine hässliche
imperialistische Unternehmung im Sinne der Zionisten war. Daher
wurde der Fahrplan ins Spiel gebracht.
Die zwei jüdischen Schulen Amerikas sind
wunderbare Schauspieler. Obwohl nur ein kleiner Unterschied
zwischen den zweien besteht, verschleiern sie diese Tatsache
durch lautes Gezeter. Wie ein saisonaler Kaufmann sich über sein
Unglück beschwert, das ihn dazu zwingt, sich von toller Ware zu
Schleuderpreisen zu trennen und der dann einen unschuldigen
Kunden zum Kauf animiert, jammern die Hardcore Zionisten über
die „Auschwitzgrenzen“ des Fahrplans. Einige Freunde Palästinas,
vor allem die Unterstützer der „Zwei Staaten“ Lösung, sahen die
verzweifelten Juden und bissen an. Schnell schlossen sie daraus,
dass der Fahrplan eine gute und faire Lösung für die
Palästinenser sei.
„Die Zionisten haben hysterische Angst vor
diesem resoluten texanischen Cowboy“, schrieb Jack Graham, der
Anwalt. „Er wird uns die Unabhängigkeit der amerikanischen
Denkweise zeigen! Frieden ist nahe!“ Ali Abunimah erklärte mal
wieder voreilig (in dem Stück namens Wer fürchtet sich vor
dem Fahrplan?):
„Israels Unterstützer geraten völlig in Panik sobald sie auch
nur die leiseste Andeutung von Fairness und Gegenseitigkeit in
dem Plan entdecken“.
Leider fürchtete sich niemand vor dem Fahrplan.
Abunimah et al wiederholten den Fehler der jugendfrischen
Braut des Prinzen de Bauffremont, einem notorischen Sodomiten in
einer amüsanten wenn auch gewagten Geschichte von Marquis de
Sade. Der Prinz sollte mit dem keuschen und unschuldigen Mädchen
vermählt werden, dessen Mutter über die Vorlieben ihres
zukünftigen Schwiegersohns informiert war.
„Meine Tochter“, sagte sie, „weisen Sie den
ersten Annäherungsversuch Ihres Mannes ab. Seien Sie standhaft
und sagen Sie ihm: auf jede andere Weise, nur nicht auf diese!“
(Ma fille, méfiez-vous des premières
propositions que vous fera votre mari, et dites-lui fermement:
Non, Monsieur, ce n'est point par là qu'une honnête femme se
prend, partout ailleurs autant qu'il vous plaira, mais pour là,
non certainement...).
Der Prinz jedoch entschied sich, seine analen
Vorlieben aufzugeben und näherte sich seiner jungen Braut in
konventioneller Weise. Er war ziemlich erstaunt und erfreut, als
seine Braut seine erste Annäherung zurückwies und ihn in die
Täler führte, die er sowieso bevorzugte, erzählt uns der Marquis
in der so passend benannten Geschichte L’époux complaisant.
Wahrscheinlich war Präsident Bush genauso
überrascht von der unerwarteten Unterstützung des Fahrplans von
Seiten der palästinensischen Sache. Man hatte eigentlich von
ihnen erwartet, dass sie den Plan sofort zurückweisen, denn er
war wirklich eines Marquis de Sade würdig. Wie die junge Braut
waren auch sie darauf konditioniert dem zuzustimmen, was auch
immer der unwillkommene Partner ablehnt und tappten so in die
Falle. Die Zwei-Staatler unter ihnen sind so heiss auf action
wie pubertierende Jungs auf ihrem ersten Schulausflug, das sie
in jede Falle tappen würden.
Es wäre tatsächlich schlimm, falls der Fahrplan
jemals eingehalten würde, und die Bedingungen, die Scharons
Regierung stellt sind miserabel. Er wurde passend beschrieben
und zu recht verurteilt von unseren Kollegen Jeff Blankford,
Ran HaCohen
und Kathleen Christison in Counterpunch, von Edward Said,
Uri Avnery und Jennifer Loewenstein und anderen. Die vierzehn
von der israelischen Regierung gestellten Bedingungen machten
alle positiven Elemente zunichte, die der Fahrplan hätte
enthalten können. Im besten Fall würde der Prozess ein paar
umzäunte Reservate für Eingeborene hervorbringen, die man den
„palästinensischen Staat“ nennen würde.
Bedeutet dies, dass wir, die Anwälte der
Menschlichkeit, gegen den Fahrplan kämpfen sollten, wie einige
Freunde es vorschlagen? Nun, wir könnten natürlich wie Don
Quixote hin-und herreiten und gegen Windmühlen kämpfen. Doch ein
weiterer gewagter Witz erzählt von einem Mann mit einer
fortgeschrittenen Venenerkrankung, dessen Arzt ihn darüber
informiert, dass sein Penis abgeschnitten werden muss. Voller
Panik und Verzweiflung rennt er von einem Spezialisten zum
nächsten bis der herausragendste von allen ihm versichert, dass
keine Operation nötig sei: sein krankes Glied ist bereits
abgefallen.
Mit anderen Worten gibt es keinen Grund, diesen
fiktiven Friedensplan zu bekämpfen, denn er wird ohnehin von
selbst verschwinden, so wie Jaring, Zinni, Saudi und die anderen
Pläne. Scharons Angriffe mit Missiles auf das wehrlose Gaza oder
den lächerlichen „Rückzug“ der Siedler vor der Entscheidung sie
zu stärken beweisen, dass die israelischen Anführer nicht die
geringste Absicht haben, sich auch nur an den Rahmen des Plans
zu halten. Der intelligente Analytiker Ahmed Bouzid aus
Philadelphia fasste dies korrekt zusammen: „Jeder, der diesen
Konflikt verfolgt hat und ein Minimum an Geschichtswissen hat,
kann in den jüngsten Erklärungen der israelischen Regierung
nicht mehr sehen, als eine Verzögerungstaktik“.
Warum sollten denn auch Zionisten den Plan, oder
irgendeinen anderen Friedensplan, akzeptieren? Sie sind die
Könige des Gebietes; die einzig andere relevante Macht in der
Region, der Irak, wurde von der mutigen Jessica Lynch und ihren
Waffenbrüdern gebrochen und Teheran wartet bereits bis es an der
Reihe ist. Es gibt Gerüchte, dass General Garner seinen Posten
in Bagdad aufgegeben haben soll, weil man ihm den Posten des
Vizepräsidenten versprochen hat, wenn man Frankreich erobert
habe. Präsident Bush sieht wieder einmal aus wie ein williges
Spielzeug, das auf die zionistische Fernbedienung reagiert.
Es gibt nur eine einzige Lösung für Palästina
und das ist die der Gleichheit, der einheitlichen
Staatsbürgerschaft und der völligen Integration aller Bewohner
Palästinas. Die Fürsprecher der Zwei-Staaten Lösung halten nur
sich selbst zum Narren. Leider kann diese Lösung nur dann
durchgesetzt werden, wenn der amerikanische Diskurs einen
gewissen Grad an Gleichheit erreicht. Warum gibt es in den
Medien keinerlei Diskussionen über diesen nicht existenten
Fahrplan? Das ist doch nur ein weiterer Beweis für die
malaise des unausgeglichenen Diskurses. Die kürzlichen
Terrorakte in Gaza und Jerusalem sollten den Zweiflern eine
Mahnung sein. Der Tod unschuldiger Zivilisten in Gaza wurde in
amerikanischen Zeitungen kaum erwähnt, doch am nächsten Tag, als
die „Gewalt“ West Jerusalem erreichte, wurde das Thema betont
behandelt. Diese Anomalie gesellt sich zu zahlreichen anderen
Anomalien, zu den unglaublich hohen 80% aller amerikanischen
Hilfsgelder, die nach Israel fliessen, zu dem disproportionalen
Sendeplatz, den die Medien den jüdischen Themen von Holocaust
bis Kabbala widmen. Alles in allem handelt es sich um ein
einzigartiges Phänomen.
Wir betrauern die palästinensische Tragödie,
doch wir sollten auch die amerikanische betrauern, denn diese
entschlossenen Menschen, die einst für ihre Redefreiheit und
ihren starken Individualismus bekannt waren, würden heute
wahrscheinlich sogar gegen Gänse verlieren in einem Wettbewerb
für unabhängiges Denken. Erst neulich waren die Amerikaner
extrem ärgerlich auf Präsident Clinton. Nicht etwa deshalb, weil
er eine aussereheliche Affäre hatte, sagten die Amerikaner,
sondern weil er gelogen hatte. Wir können alles verzeihen ausser
einer Lüge. Nicht nur die Zeitungen griffen ihn für diese
ziemlich unschuldige Lüge an, sogar der Kongress versuchte ihn
deswegen anzuklagen.
Vor zwanzig Jahren wurde Präsident Nixon
praktisch gehäutet und gelyncht aus demselben Grund: er hat
gelogen, verkündeten die Medien, er hat gelogen, wiederholten
die Amerikaner, und so musste er abdanken. Doch nun hat
Präsident Bush gelogen, und seine schmutzige Lüge war nicht
geringer Natur; es handelt sich um die Riesenlüge um die
irakischen Massenvernichtungswaffen. Wenn kümmerts sagt der
nonchalante Wolfowitz und Tom Friedman wiederholt, ja, wen
kümmerts schon, es ist nicht „die wahre Geschichte, um die wir
uns sorgen sollten“.
„Amen“, sagten die Amerikaner, „wir haben bereits vergessen,
dass er jemals Massenvernichtungswaffen erwähnt hat“. Scheinbar
entscheiden die amerikanischen Juden nicht nur darüber, wer ein
Antisemit ist (nämlich jemand, der die Gleichheit von Juden und
Nichtjuden verlangt), sondern auch darüber, wer ein Lügner ist.
Ich sorge mich nicht um die moralischen
Prinzipien der Amerikaner, doch ihre bedingungslose Unterwerfung
der Manipulation, ihre Bereitschaft, alles ernsthaft zu
wiederholen, was man ihnen sagt, läuft auf dämonische
Besessenheit hinaus. Wie in einer haitischen Legende wurden sie
in einen Zombie verwandelt durch den bösen Kriegshetzer, die
Herren des Diskurses. Unsere wenigen wunderbaren Freunde in den
USA ähneln immer mehr den sowjetischen Dissidenten von einst,
mit einem grossen Unterschied. Die Dissidenten konnten auf die
volle Unterstützung des Westens zählen, während die
amerikanischen Dissidenten heutzutage alleine dastehen.
Nun tendieren wir alle dazu, das Spiel
mitzuspielen, und sogar Kassandra fand es schwierig bekümmert zu
sein, als das hölzerne Pferd die Stadtmauern Trojas passierte,
als alle anderen sich über das grossartige Geschenk der Danäer
freuten. Doch in Amerika übersteigt der Konformismus jegliche
Vernunft. Dieses Ungleichgewicht beschränkt sich nur leider
nicht auf Amerika, sondert schwappt nun auch nach Europa über.
Die totalitären amerikanischen Medienbarone kaufen sich ins
europäische Kommunikationsgeschäft ein. Der Milliardär Haim
Saban, ein israelisch-amerikanischer Jude, kauft KirchMedia,
Deutschlands grössten Fernsehsender. Er ist auch der grösste
individuelle Sponsor der amerikanischen politischen Parteien und
ein grosser Unterstützer Israels – und zwar bis zu so einem
Grad, dass die Universität von Kalifornien ihm die
Sicherheitsabfertigung verweigerte.
Man kann sich vorstellen, welche Art von Sendungen dieser
Fernsehsender ausstrahlt. Dieser Versuch, Europas Denkweise zu
stehlen, sollte verhindert werden und die verdorbenen Güter
Amerikas – von genetisch verändertem Fleisch über Seifenopern
bis zu den „Nachrichten“ – sollten nicht nach Europa
hineingelassen werden.
Frankreich ist das stärkste Bollwerk des Dammes,
der die amerikanische Flut zurückhält. Wenn Jacques Chirac sich
nicht so stark auf seine Prinzipien berufen hätte, hätten es
Deutschlands Gerhard Schröder und Russlands Vladimir Putin nicht
gewagt gegen den amerikanischen Angriff auf den wehrlosen Irak
Einspruch zu erheben. Sie können stolz auf Ihre Anführer sein
und müssen sie unterstützen. Frankreich braucht Einheit und kein
Thema vereinigt die Gegner des Imperiums so wie das Thema
Palästina. Lasst es zum Band der Einheit zwischen einheimischen
und zugewanderten Franzosen werden.
Frankreich ist der strahlende Stern im Sternbild
Europas. Lassen Sie dieses wunderbare Land mit kleinen
gewundenen Strassen, Weingärten und Farmen, grossen Kathedralen
und Gemeindekirchen, auch mit moderner Industrie und
Kommunikationsindustrie, mit freundlichen und gedankenvollen
Menschen, auch Europas Leitstern sein. Frankreich ist wichtig
für Osteuropa, denn die EU Mitgliedschaft sollte diesen Menschen
eine Ruhepause gewähren von ihren gegenwärtigen
pro-amerikanischen und pro-zionistischen Soros-hörigen
Anführern. Frankreich ist wichtig für Russland, sie sind
traditionelle Verbündete, und Russland könnte so die Spuren des
von der CIA eingesetzten Jeltsin Regimes abschütteln.
Frankreich ist wichtig für den Mittleren Osten,
doch es ist noch wichtiger für die USA. Dieses Land kann sich
nicht alleine gegen das Imperium stellen und wir sollten auch
nicht auf eine Konfrontation drängen. Frankreich und die ersten
Tage der Republik sollten den guten Amerikanern ein Beispiel
sein, dem sie nacheifern sollten. Genau das ist den
privilegierteren Amerikanern klar. In einem kleinen Dorf in der
französischen Region Champagne lief ich einem häufigen
Besucher, Herrn Cohen von der New York Times, über den
Weg. Unter der Woche lebt er in Manhattan, isst Freiheitsfritten
mit gefilte fish und verlangt nach Bestrafung des
verräterischen Frankreich, doch am Wochenende fliegt er hierher,
um den Duft der wahren Zivilisation zu schnuppern. Tief im
Herzen weiss er, dass das amerikanische Imperium mit seinen
texanischen Anführern und jüdischen Medienbaronen eine extrem
unangenehme Sache ist, sogar für seine Anhänger, fast so
unangenehm wie der jüdische Staat im Mittleren Osten.
Denn schliesslich wurde Marquis de Sade im
zivilisierten Frankreich in eine psychiatrische Klinik
eingewiesen und man bat ihn nicht darum, Fahrpläne zu entwerfen.
Brief von Israel/Antiwar.com
21. Mai 2003
New York Times, 4. Juni 2003
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