The WRITINGS of ISRAEL SHAMIR
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Die Helden von Bethlehem

Von Israel Shamir

Die orthodoxe Kirche im Nahen Osten feierte Ostern dieses Jahr erst im Mai, lange nach dem Ostern des Westens. Es gab jedoch wenig Anlaß zu feierlicher Stimmung, da die Geburtskirche zu Bethlehem seit Monaten von der israelischen Armee belagert war. Hungernde Priester und Laienprediger befanden sich in der Grotte, wo die Jungfrau Maria Jesus Christus geboren haben soll; die Leichen von Polizisten, die von israelischen Scharfschützen erschossen worden waren, stapelten sich unter dem Golden Baum des Jesse-Mosaiks. Die Belagerer schossen immer wieder Brandgeschosse auf das hölzerne Dach der Basilika und beobachteten die immer schwächer werdenden Versuche der ausgehungerten Verteidiger, die entstehenden Feuer zu löschen. Das Osterfest aber brachte ihnen ein Wunder unter der Abkürzung ISM.

Was ist ISM? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns einige Hundert Meter von der Kirche entfernen, zu jener breiten Terrasse, von der aus man die sanft absteigenden Hügel zum Toten Meer überblicken kann. Dort befindet sich eine kleine byzantinische Sakristei neben einer Wasserzisterne. Der Ostwind hat dort eine Lage Wüstenstaub auf das Bodenmosaik geweht, und die sprichwörtlichen Dornen sind durch des Mosaiks rote Kreuze durchgebrochen. Diese Zisterne hat einen aquatischen Charakter, wie viele historische Gebäude im "Heiligen Land". Ihr Name ist Bir Daoud (Davids Brunnen), in Erinnerung an eine legendäre Heldentat.

Einst erklärten die Armeen der Städte in der Ebene dem aus den Bergdörfern kommenden Terror den Krieg. Sie versuchten, einen bestimmten Mann zu fangen, den palästinensischen Terroristenführer Daoud, der die Städte wiederholt angegriffen hatte. Aber seine Anhänger, ein kunterbunter Haufen, forderten die Eindringlinge heraus. Sie griffen Straßenkontrollen an, umgingen Sicherheitsmaßnahmen, sickerten in die Städte des Tales ein, und es gelang ihnen sogar gegen allen Widerstand, aus dem Brunnen von Bethlehem Wasser zum belagerten Daoud durchzubringen, oder König David, wie er heute genannt wird.

Jahrtausende vergingen, bevor diese Heldentat in einer neuen Fassung durch König Davids Lehrlinge wiederholt wurde, der Internationalen Solidaritätsbewegung (International Solidarity Movement), abgekürzt ISM. Palästina ist der Schauplatz der dramatischsten Konfrontation und internationalen Spannungen geworden wie seit Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten nicht mehr. Junge europäische und amerikanische Männer und Frauen schlossen sich der ISM an und begaben sich zu den grünen Hügeln von Bethlehem und Hebron. Sie kamen zu einer unruhigen Zeit: Israelische Führer hatten einen sorgsamen Plan zur Vertreibung und Vernichtung der Palästinenser ausgearbeitet, um ein Land zu schaffen, das so jüdisch sein würde, wie einst Deutschland arisch sein wollte. Die ISM-Freiwilligen haben diesen Plan durch ihre schlichte Anwesenheit zum Entgleisen gebracht und die örtlichen Bauern vor der ihnen drohenden Zerstörung und Vertreibung gerettet. Sie lebten gefährlich: indem sie bei den Bauern in der verteidigungslosen Stadt blieben, spielten sie Katz und Maus mit den israelischen Exterminatoren und Scharfschützen.

Die Geburtskirche von Bethlehem im Januar 2000

Obwohl einige der ISM-Freiwillige jüdische Eltern haben, lehnen sie alle das separatistische Schlagwort "Nur für Juden" ab, das von den Zionisten verbreitet wird. Sie stehen für Gleichheit, für die "Internationale der wohlwollenden Menschen", wie Isaac Babel sagen würde. Sie kamen aus dem Lande Folke Bernadottes, aus dem Lande Abe Lincolns und aus dem Lande T.E. Lawrences. Einige der ISM-Freiwilligen waren schon aus Seattle, Göteborg und Genua protesterprobt, wo sie den doppelköpfigen Drachen von Globalisierung und Zionismus herausgefordert hatten. Andere wiederum kamen im April 2002 ins "Heilige Land", gerade rechtzeitig zur "Osteroffensive", als Sharons willige Henker Häuser planierten, Olivenbäume ausrissen, Tausende Palästinenser in Konzentrationslager deportierten, Hunderte Männer, Frauen und Kinder in den Flüchtlingslagern von Jenin und Nablus dahinschlachteten. Als Israels Moloch nach Bethlehem eindrang, suchten über zweihundert Menschen Zuflucht in der dortigen Geburtskirche.

Diese Zufluchtstradition ist tatsächlich älter als das Christentum. Sie war der Menschheit seit der Dämmerung der Zivilisation bekannt. Kirchen waren immer schon ein Ort der Zuflucht, wovon Victor Hugos Glöckner von Notre Dame ein neueres Zeugnis ablegte. In Lateinamerika verbargen sich verfolgte Menschen wie auch illegale Immigranten und Arbeiterführer wiederholt erfolgreich in Kirchen, wie auch viele Juden während des Zweiten Weltkrieges Zuflucht in christlichen Kirchen und Klostern fanden. Aus diesem Grunde glaubten die Menschen von Bethlehem auch, sie wären hinter den dicken Mauern der ältesten Kirche der Christenheit sicher.

Die Geburtskirche von Bethlehem wurde im Jahre 325 n.Chr. errichtet und hat als einziges der drei ehemals großartigen christlichen Gebäude im Heiligen Land bis heute überlebt. Ihre turbulente Geschichte ist von glücklichen Umständen geprägt: im Jahr 614 verweigerten sich die eindringenden Perser dem Zerstörungsbefehl ihrer jüdischen Kommissare, wie auch die Sarazenen im Jahr 1009 einen ähnlichen Befehl des verrückten ägyptischen Kalifen Hakim ignorierten, während die Grabeskirche zu Jerusalem in beiden Fällen in Brand gesteckt und zerstört wurde. Anno 1099 vernahm Tancred, der spätere Prinz von Galiläa, daß der Feind plane, die Geburtskirche zu zerstören. Er ritt daher an der Spitze seiner Kreuzritter durch 50 Kilometer feindlich besetzten Landes und befreite die Kirche.

Die Kreuzfahrerkönige von Jerusalem wurden in der Geburtskirche gekrönt, und jener Zeit sandten die Könige von England und Frankreich zum Erzbistum Jerusalem ihre kostbarsten Geschenke. Seit 1145 verziert ein herrliches Mosaik die Wände der Kirche, das noch heute den Stammbaum Jesse, den Lebensbaum und die Szene des zweifelnden Thomas zeigt, wie er die Wunden Christi berührt. 1932 entdeckten die Briten das wunderschöne Bodenmosaik aus den 4. Jahrhundert, und im Jahr 2000 ordnete Yassir Arafat die Wiedererrichtung des Krippenplatzes vor der Basilika an. Die Kirche wurde über die Jahrhunderte hinweg von Millionen von Gläubigen bewundert, was dazu beitrug, daß die Menschen in Bethlehem glaubten, sie seien im Schutz dieser Kirche sicher.

Aber die Juden kümmern sich einen feuchten Kehricht um die Heiligkeit von Kirchen. Es gibt zugegebenermaßen abweichende Ansichten: Die zionistischen Schüler von Rabbi Kook, der Hauptkonfession Israels, glauben, daß alle Kirchen so schnell wie möglich zerstört werden müssen, und zwar noch vor den Moscheen. Für sie ist die Auslöschung des Christentums wichtiger als die Vernichtung der Palästinenser. Ihre traditionalistischen Gegner sind der Ansicht, es eile nicht und dies solle durch den jüdischen Messias der Rache erledigt werden, wann auch immer dieser komme. Die verweltlichten Juden hingegen sind daran nicht interessiert. Aus diesem Grunde hatte die jüdische Armee keine Skrupel, die Geburtskirche zu umstellen und die grausamste Belagerung ihrer langen Geschichte durchzuführen.

Zusammen mit den zweihundert Flüchtlingen verblieben vierzig Mönche und Priester in der Kirche und erfüllten ihre Pflicht. Einen Monat lang verboten die Israelis, daß Lebensmittel in die belagerte Kirche gebracht wurden. Wie zu Zeiten mittelalterlicher Belagerungen fingen die Menschen in der Kirche an zu hungern und zu verdursten. Sie destillierten Wasser aus Zitronenschalen und Gras. Der Gestank verwesender Leichen und schwärender Wunden erfüllte die Kirche.

Ausgerüstet mit hochmodernen Sichtgeräten versteckten sich Scharfschützen in der unmittelbaren Nähe der Kirche und schossen auf alles, was sich bewegte. Sie erschossen Mönche, Priester und Flüchtlinge. Sogar noch vor Beginn der Belagerung erschossen sie den Chorknaben Johnny, und gerade heute am 4. Mai, da ich diese Zeilen niederschreibe, haben sie einen weiteren Kirchenmann erschossen. All dies geschieht ungesühnt, denn die Israelis haben mächtige Verbündete in den Medien des Westens. Der dänische Märchenautor Hans Christian Andersen schrieb einst über den Spiegel der Schneekönigin, der alles ins Gegenteil verzerrt, aus Häßlichem Schönes macht und umgekehrt. Im Wunderspiegel des US-Nachrichtenkanals CNN mutierte diese älteste aller Kirchen zu »einem Ort, von dem einige Christen glauben, Jesus sei dort geboren worden«. Die Flüchtlinge mutierten zu »Terroristen«. Die Mönche und Priester wurden zu »Geiseln« im Zerrspiegel der Schneekönigin. Die Schreie der Belagerten gelangten nicht in die israelisch-kontrollierten westlichen Medien.

10. Mai 2002: Das Ende der Belagerung.
Orthodoxe Priester kehren in die Kirche zurück

In der dunkelsten Stunde der Belagerten ritten die Retter des ISM herbei. Als sich das Heilige Land auf den Karfreitag vorbereitete (die meisten Christen Palästinas gehören der Griechisch-Orthodoxen Kirche an), teilten sich die zwei Dutzend ISM-Freiwilligen in zwei Gruppen auf: die eine Hälfte inszenierte ein Ablenkungsmanöver in der besten Tradition von Alistair McLeans Guns of Navarone. Während sich Israels mutige Soldaten an die Fersen der Ablenkungsgruppe hefteten, um sie gefangen zu nehmen, kam die zweite Gruppe hervor und gelangte durch den Haupteingang ins Innere der Kirche. Sie brachten den belagerten Flüchtlingen Lebensmittel und Wasser, eine wahre Ostergabe. Die Geschichtsschreibung wird dies womöglich einst die Osterrettung nennen.

Wenn die Zionisten einst überwunden sein werden, werden die Namen dieser mutigen Männer und Frauen einst in die Wände der Geburtskirche eingraviert werden. In der Sakristei, nahe dem Schwert von Godfrey de Bouillon, dem Verteidiger der Grabeskirche (Führer des ersten Kreuzzuges, der eine Krönung ablehnte, aber zumindest den Adelstitel akzeptierte), werden einst die Baseballmützen und Turnschuhe der Verteidiger der Geburtskirche ausgestellt werden, die in die Kirche eindrangen, um den Hunger und die Gefahren der Belagerung zu teilen: Alistair Hillman (England), Allan Lindgaard (Dänemark), Erik Algers (Schweden), Jacqueline Soohen (Kanada) Kristen Schurr (USA), Larry Hales (USA), Mary Kelly (Irland), Nauman Zaidi (USA), Stefan Coster (Schweden), and Robert O’Neill (USA), sowie derjenigen, die ihre Freiheit opferten, indem sie ein Ablenkungsmanöver inszenierten und deshalb gefangen genommen wurden: Jeff Kingham (USA), Jo Harrison (England), Johannes Wahlstrom (Schweden), James Hanna (USA), Kate Thomas (England), Marcia Tubbs (England), John Caruso (USA), Nathan Musselman (USA), Nathan Mauger (USA), Trevor Baumgartner (USA), Thomas Kootsoukos (USA), Ida Fasten (Schweden), Huwaida Arraf (USA).

Die Ablenkungsgruppe wurde aufgrund des entsetzlichen Kriegsverbrechens verhaftet, den hungernden Flüchtlingen zu Ostern Lebensmittel überbracht zu haben. Zunächst wurden die Männer von den Frauen getrennt und zur illegalen jüdischen Siedlung Etzion gebracht. Die Frauen wurden nach Jerusalem gebracht und vor Gericht gestellt, wo die meisten zur sofortigen Abschiebung außer Landes verurteilt wurden. Auf ihrem Weg zum Gefängnistransport sprangen die englischen jungen Frauen aus den Fahrzeugen und entkamen ihren Bewachern. Eine von ihnen wurde von einem israelischen Zivilisten gefangen, der nicht zögerte, die junge Frau mit einem Messer zu bedrohen. Die beiden anderen befinden sich mit dem schwedischen Mädel Ida auf der Flucht.

Die ISM-Freiwilligen haben vorgemacht, was wirklicher ziviler Ungehorsam ist, wie eine gewaltlose humanitäre Aktion sogar unter den brutalen Verhältnissen der israelischen Besatzung etwas bewirken kann. Die Männer wurden einige Zeit im besetzten Hebron im Gefängnis durch fanatische Siedler festgehalten. Obwohl sie auf dem Territorium Israels kein Verbrechen begangen hatten, wurde sie zur sofortigen Abschiebung verurteilt sowie mit einem Einreiseverbot nach Israel für zehn Jahre belegt. Man kann nur hoffen, daß der Apartheidstaat "Israel" nicht mehr so lange bestehen wird. Ihre Verurteilung zeigt auch, daß das legale Konzept der "palästinensischen Territorien" für die israelischen Behörden eine Fiktion ist, die immer dann beachtet wird, wenn es ihnen in den Kram paßt. Wir könnten das gleiche machen und Gleichheit für alle in ganz Palästina fordern, für Juden wie für Nichtjuden.

Als professioneller Journalist bedaure ich, daß das Beste dieses spannungsgeladene Dramas von Belagerung, Durchbruch, Ablenkung, Entlastung, Rettung, Verhaftung, Flucht und Konfrontation zum Osterfest im Schatten dieser großartigen Kirche nicht die Massen in Europa und Amerika erreichte, zumal die Medien des Westens dieses Drama nicht verbreiteten.

Aber dieses Bedauern verringert nicht meine Freude an dem Ereignis, zumal einer der jungen Leute, die die Belagerung durchbrachen, mein eigener Sohn Johannes Wahlstrom-Shamir war. Er wurde am 6. Mai zurück nach Schweden deportiert.

Am 19. Mai erhielt ich schließlich eine alarmierende Nachricht von Huwaida Arraf, einer der jungen Frauen aus der Geburtskirche. Sie erinnerte uns daran, daß immer noch einige Amerikaner der ISM in den Gefängnissen der Zionisten stecken. Darunter befinden sich auch Kristen und Trevor aus Seattle. Die Bürger Seattles sollten Briefe und Emails schreiben mit der Aufforderung an die Israelis: »Let My People Go!«

Unter jenen, die sich Mitte Mai immer noch in Haft befanden, waren u.a.: Trevor Baumgartner, Nathan Mauger, Nathan Musselman, Thomas Koutsoukos und Kristen Schurr. Linda Bevis, eine Freundin von Trevor (lindabevis@yahoo.com) schrieb:

»Trevor hat gestern einen Freund in New York und seine Mutter angerufen. Seine Gesundheit macht ihm zu schaffen. Zusammen mit anderen neueren Inhaftierten der ISM haben alle vier Männer ihren Wunsch geäußert, nach Hause zurückzukehren. […] Sie sind alle noch im Gefängnis, und jetzt haben sie uns voneinander getrennt. Zudem wurde ihnen von den israelischen Behörden mitgeteilt, daß Nathan Musselman für weitere Verhöre durch die israelische Sicherheitseinheit Shabak zurückgehalten würde. Sowohl die UNO wie auch verschiedene Menschenrechtsvereinigungen haben dokumentarische Beweise, daß die Israelis Folter meinen, wenn sie vorgeben, einen Palästinenser für "Verhöre" zu verhaften. […]

Das Innere der Geburtskirche in Bethlehem

Das US-Außenministerium und die US-Botschaft in Israel waren nicht sehr hilfreich. Sie behaupten weiterhin, Trevor und die anderen Inhaftierten könnten das Land verlassen wann immer sie wollen, daß sie aber im Gefängnis seien, weil dies ihr Wille sei. Dies ist freilich nicht wahr. Sie würden Israel schon gerne verlassen, bloß sitzen sie leider hinter Schloß und Riegel.

Die neueren Inhaftierten sind jene Mitglieder der International Solidarity Movement (ISM), die am 2. Mai mit Lebensmitteln zu den Hungernden und Durstenden in die Geburtskirche gelangten. […] Alle zehn wurden verhaftet, als die israelischen Militärs in die Kirche eindrangen und die Belagerung beendeten. Die meisten von ihnen wurden deportiert, aber einige sind immer noch inhaftiert.

Die einzige noch nicht freigelassene Frau ist Kristin Schurr. […] Sie berichtet, sie sei während ihrer Verhaftung geschlagen, herumgestoßen und angeschrien worden und habe sich wiederholt zur Leibesvisitation ausziehen müssen. […]«

 

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