Abzug aus Gaza - Israel Shamir im 3sat-Interview
Freitag, August 26, 2005
Das von 3sat auf Betreiben inquisizionistischer Pressure groups
zensierten Interviews mit Israel Shamir, basierend auf einer
Mitschrift, die auf de.soc.politik.misc veröffentlicht wurde (einzelne
Fehler korrigiert):
Gespräch mit dem israelischen Schriftsteller Israel Shamir bei
3sat "kulturzeit" über die Folgen der von Ariel Scharon
durchgesetzten Räumung einiger der jüdischen Siedlungen im Gaza-Streifen:
Shamir: Ich erwarte keine großen Auswirkungen. Der Gaza-Abzug
ist eine große historische Show. Wir sind Darsteller, aber dem
Publikum ist gar nicht klar, daß man nur Teil einer Aufführung
ist. Nur sehr wenig wird sich wirklich ändern. Letzlich erwarte
ich, daß hier eine gute Dramaturgie vorliegt für eine Änderung
des Regimes in einem Gefängnis, denn der Gaza-Streifen ist ein
Gefängnis. Der Gaza-Streifen wird von außen regiert, nicht von
innen. Ich erwarte also wenige Veränderungen in der Realität.
Aber es wird eine wichtige Änderung geben und das sollten wir zu
verhindern versuchen, nämlich der Versuch der Regierung Scharon
wenig zu tun und falsches zu tun und daraus politisches Kapital
zu schlagen. Dieses politische Kapital wird eingesetzt werden,
um andere schlechte Dinge zu verbergen. Wir sehen jetzt schon,
daß Jerusalem völlig eingemauert ist. Ost-Jerusalem ist in einer
schwierigen Situation, es werden Häuser in der gesamten
Westjordan-Region abgerissen und es wird weitere Dinge geben,
insbesondere besteht die Möglichkeit, daß ein Krieg mit dem Iran
ausbricht. Das heißt also, daß Scharon hier politisches Kapital
ansammelt und dieses Kapital will er ausgeben. Deshalb meine ich,
daß wir ein besseres Verständnis brauchen, daß wir versuchen
müssen, der Welt zu erklären, daß dieser Schritt nicht in die
richtige Richtung geht. Die einfachen Menschen, die jetzt in
Gaza ihre Heimat verlieren, sehen das natürlich nicht so. Man
verspürt Mittleid mit den Menschen dort, die nicht wissen, was
vorgeht, die nicht wissen, warum sie aus ihren Häusern verjagt
werden. Aber es handelt sich einfach um eine Aufführung. Ich
kann das ganz einfach sagen, vor einigen Wochen hat die
israelische Armee ein
palästinensisches Dorf komplett vernichtet: Khirbet Tana.
Das Dorf wurde komplett abgerissen und die Menschen wurden
einfach weggejagt. Die israelische Armee hat das gemacht und
dabei alle Journalisten ferngehalten. Das heißt, die Welt hat
von dieser Vertreibung nie erfahren! Jetzt aber sieht die Welt
die Vertreibung der Siedler aus Gaza. Und so etwas führt
natürlich zu einem irrigen Verständnis der Entwicklung und jetzt
entsteht hier das Gefühl, daß ein großes Opfer gebracht wird.
Aber es handelt sich um keinen großen, wichtigen Schritt, das
sehen auch mehr und mehr Menschen ein! Es gibt das englische
Magazin "New Statesman", das hier einen interessanten Bericht
veröffentlicht hat, das läuft eingentlich auf das Gleiche hinaus.
Scharon sorgt vor Ort für Emotionen, aber damit verdeckt er nur,
was er in Israel und im Westjordanland tut. Insofern bin ich
überhaupt nicht optimistisch. Die Entwicklung geht in die
falsche Richtung. Es gab überhaupt keinen Grund, diese armen
Menschen dort zu vertreiben, also die Siedler. Die Mehrzahl der
Palästinenser mit denen ich gesprochen habe, hatten gar nicht
dagegen, daß die Siedler dort geblieben wären. Scharon musste
aber diese Show aufführen, mußte das Gefühl eines Opfers
schaffen, um dieses politische Kapital zu sammeln, das er
anderweitig auszugeben gedenkt und das wird sicherlich nicht gut
laufen.
Moderator: Wie sehen sie die Zukunft Gazas?
Shamir: Ich möchte es ganz einfach ausdrücken: Nehmen wir einmal
an, man sitzt im Gefängnis und jeden Morgen wird man um 6 Uhr
vom Wärter geweckt und jetzt kommt der Wärter und sagt den
Häftlingen, wir erlauben euch jetzt euch innerhalb des
Gefängnisses frei zu bewegen obwohl der Zaun darumherum bleibt.
Darüber freuen sich die Häftlinge natürlich. Insofern ist es ein
gewisser Fortschritt. Aber es gibt noch einen weiteren
Unterschied: im Gefängnis bekommen die Häftlinge zumindest noch
etwas zu essen. In Gaza, diesem großen Gefängnis, bekommen sie
noch nicht eimal etwas zu essen! Denn das ganze wird ja von der
Weltgemeinschaft finanziert. Israel hat so die bequemste Lösung,
Israel kann seine Waren nach Gaza verkaufen, wird aber nichts
Gutes für Gaza leisten.
Moderator: Wird denn mit dem Rückzug aus Gaza ein Rückzug aus
der Westbank denkbar?
Shamir: Ich sehe es umgekehrt Scharon will zeigen, daß ein
Rückzug aus dem Westjordanland unmöglich ist. Er wird sagen:
Gaza war schon schwer genug. Es war fast unmöglich 4.000
Menschen aus Gaza abzuziehen und dafür muß die Welt Milliarden
bezahlen. Und wenn wir jetzt 400.000 Siedler aus dem
Westjordanland abziehen wollen, dann wird das nicht gehen. Das
versucht er hier zu zeigen, deswegen führt er das so auf! Das
ist ausführlich diskutiert und öfters gesagt worden, daß ein
weiterer Rückzug nicht denkbar ist. Scharon hat es auch oft
genug gesagt. Er gibt Gaza auf, um das Westjordanland zu
behalten. Insofern erwarte ich keinen Rückzug aus dem
Westjordanland. Das wird ein großes Internierungslager bleiben,
wie es das über die ganzen Jahre gewesen ist, und in dem Lager
darf man sich selbst verwalten, aber es bleibt ein Lager.
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